Annette Haug
Amokkoma (2008)
Kurzgeschichten
 
183 S.; 13 mal 19 cm; Softcover
ISBN: 978-3-00-022579-6
Preis: 17 €

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Zum Inhalt:
Annette Haug, geboren in Ulm am 01.06.1966, ist Autorin, Malerin und Graphikerin.
 
Mit ihren Texten bewegt sie sich zwischen Fiktion und Traum, zwischen
Realem und Surrealem. Es gelingt ihr, den Leser entlang einer Grenzlinie
zu halten, ihn zu schockieren und zu berühren. 

Sie zeigt die Vielseitigkeit des Lebens, in der die Figuren die Krankheiten der Gesellschaft am eigenen Leib zu spüren bekommen.

 

 
Leseprobe: Manchmal

Manchmal

Manchmal höre ich ein Flugzeug und verwechsle es mit dem Brummen einer Hummel. Manchmal lese ich Geschichten und bilde mir ein, ich hätte sie selber geschrieben. Ich höre den Wind in den Olivenblättern, will mich zusammenkauern zu einem Bündel, die Beine an den Oberkörper gepreßt und nie mehr aufstehen. Aber ich sitze draußen am Tisch und rauche. Die Klopapierrolle ist immer noch ganz naß von dem Sturm vorletzte Nacht. Er hat sie zum Trocknen in die Sonne gestellt. Ich frage mich, warum. Die Lagen sind zusammengeklebt zu einem Klumpen. Ein Brei aus Papier. Meine Worte, die auf das Blatt strömen, sind auch so ein Brei. Er hat es mir gestern nacht gesagt. Sein Mund war gespitzt. Die Stimme klang hohl. Er geht jetzt auf der Terrasse auf und ab und telephoniert mit ihm. Seine Schritte dröhnen in meinem Kopf. Sein linker Schuh ist abgelatscht. Ich wundere mich, wie er in den Schuhen noch gehen kann. Aber er hat seit jeher eine Vorliebe für abgetragene Kleidung. Ich hole mir einen Aperol-Soda. Normalerweise trinkt nur er das. Vielleicht will ich jetzt ganz bei ihm sein, indem ich mir sein Getränk einverleibe. Das Getränk leuchtend rot auf dem weißen Tisch. Zuckersüß rinnt es mir die Kehle herab. Ich will nicht zuhören, wenn er spricht. Manchmal erwische ich einen Wortfetzen. Er fragt gerade „Wann?“ –

Ich lenke mich ab, indem ich das Blatt vollkritzele. Dann zünde ich mir noch eine Zigarette an. Mir ist schon ganz schlecht vom Rauchen. Ich zähle die Zigarettenstummel. Ich höre:

„Das ist aber spät.“

Eine Zecke krabbelt über den Tisch. Es sind acht Zigarettenstummel. Jetzt schwirrt eine Wespe um meinen Aperol herum. Ich verjage sie mit meinem Buch. Er legt auf. Ich frage ihn: „Wann, wann ist es soweit?“

„In drei Wochen“, sagt er mit brüchiger Stimme.

Die Wespe krault jetzt in dem süßen klebrigen Getränk. Ich mache keine Anstalten, ihr zu helfen. Ich murmle leise vor mich hin: „Dann haben wir noch etwas Zeit.“ Ich zerknülle das Papier und stehe auf. Die Wespe regt sich nicht mehr. Ihre Flügel sind verklebt.

 

 
 

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